ANDREAS
KALCKHOFF
Karl
der Große.
Profile
eines Herrschers.
Auszug aus einer Doppelrezension in der
”Frankfurter Allgemeinen Zeitung” vom 4. Februar 1988:
Als Karl der Große im Alter von etwa siebzig
Jahren 814 in Aachen starb, hinterließ er ein Reich, das sich von der Nordsee
bis zu den Abruzzen, von der Elbe bis zum Ebro, Vom Plattensee bis in die
Bretagne erstreckte, war aus dem Sohn des merowingischen Hausmeiers Pippin ein den byzantinischen Kaisern an Macht, Ansehen und
Würde ebenbürtiger Herrscher geworden. ”Carolus magnus", schon die
Zeitgenossen verliehen ihm diesen Titel, war für das Mittelalter die
Personifizierung des christlichen Herrschers. Das hat bereits Alkuin, der
Leiter der Hofschule Karls, deutlich gemacht, als er seinen Schüler und
Förderer in einer gegen Elipandus von Toledo gerichteten Streitschrift einen
König in seiner Macht, einen Bischof in seiner Predigt und einen Philosophen in
seinem Wissen nannte.
Andreas Kalckhoff beginnt seine Darstellung mit
Karls Tod und den letzten Jahren seiner Regierung, die nicht mehr von Sieg und
Triumph, sondern von Resignation und der Furcht vor der Vergänglichkeit des Erreichten
bestimmt waren. Anlaß dazu gab es genug: die beiden ältesten Söhne waren
vorzeitig gestorben, Spannungen in der Herrscherfamilie und der
Reichsaristokratie gefährdeten die innere Stabilität des Reiches, die Angriffe
der Dänen, Normannen, Awaren und Sarazenen seine äußere Sicherheit, Seuchen und
Hungersnöte brachen über das Land herein, die Frommen nahmen himmlische Vorzeichen
wahr, die zu Buße und Einkehr aufforderten.
Hatte Karl am Ende doch versagt, war er als
Mensch dem Ideal des christlichen Herrschers gerecht geworden, war das, was er
geschaffen hatte, wirklich von Dauer, so fragt Kalckhoff mit Formulierungen,
die an die von Endzeitstimmung geprägten Äußerungen Bischof Theobalds von
Orléans erinnern, der 821 in Klosterhaft starb.
Auf diese Fragen versucht der Autor eine Antwort
zu geben. Er geht dabei nicht chronologisch vor, verwendet vielmehr mit
Rückblenden und Ausblicken Darstellungsmittel, die dem Leser den Weg zu Karl
und den Zugang zu der fremden Welt des frühen Mittelalters erleichtern sollen,
Unter dem Titel ”Leben im Frankenreich” ist die Rede von Land und Leuten:
Urwälder. reißende Flüsse, einsam gelegene Siedlungen, nur mühsam erreichbare
Märkte und Zollstätten, Kirchen und Klöster, Burgen und Pfalzen; Hungersnöte,
denen mangelhafte Agrartechnik und Verkehrsmittel wenig entgegenzusetzen
hatten; die Herrschaft der Reichen und Mächtigen, die die von ihnen Abhängigen
ausbeuteten, aber auch schützten; ländliches Handwerk und Gewerbe, Ansätze für
überregionale Märkte; ein kirchliches Leben, in dem Jahrhunderte vor dem
Investiturstreit Weltliches und Geistliches so eng zusammengehörten, daß
niemand zu sagen wußte, wo im ”Eigenkirchenwesen” die Herrschaft von König und
Adel aufhörte und die Sphäre der Bischöfe und Äbte, Priester und Mönche begann.
Als Karl 768 gemeinsam mit seinem drei Jahre
später gestorbenen Bruder Karlmann die Herrschaft im Franken reich antrat, war
er 26 Jahre alt. Schon ein Jahr später begann er mit dem, was die Zeitgenossen
als Augmentatio imperii bezeichneten, die Eroberung Aquitaniens, der Sieg über
die Langobarden und Bajuwaren, die Abwehr der Sarazenen, Awaren und Slawen, die
Niederwerfung der Sachsen und die Errichtung der Grenzmarken. Karl blieb bei
all dem der in das soziale Gefüge seines Stammes eingebundene König der
Franken. Die Ausdehnung des Reiches, der Ausbau Aachens zum zweiten Rom und
neuen Jerusalem, der Schutz der Christenheit, die Verbreitung des Glaubens und
schließlich die 800 nolens volens akzeptierte Kaiserkrönung durch Papst Leo
III. machten freilich mehr aus ihm als einen durch Fähigkeit, Tatkraft und
Fortune exzellierenden Stammesfürsten. Die Verbindung von fränkischer
Tradition, römischer Reichsidee und christlichem Herrscherideal ließen ihn in
Zusammenspiel und Konkurrenz mit dem römischen Bischof und oströmischen Kaiser
zum ”Gesalbten des Herrn", ”Haupt der Welt” und ”Lenker des
Christenvolkes” werden.
Zug um Zug arbeitet Kalckhoff die
”Profile” Karls des
Großen als des Königs der Franken, des Hauptes der Welt, des Stifters der
rechten Ordnung und des Vorbildes aller Sterblichen heraus. Gewiß, der
lebensfrohe Mann auf dem Aachener Kaiserthron entsprach in seiner persönlichen
Lebensführung kaum jenen Vorstellungen, die man sich in neuerer Zeit vom
redlichen Christen, treuen Ehemann und fürsorglichen Familienvater machte. Sein
Reich hatte keinen Bestand, sollte wohl auch gar nicht in der von ihm
geschaffenen Form Dauer haben, hielt es Karl selbst doch für ausgemacht, daß
ihm seine Söhne gemeinsam, wie es fränkischer Tradition entsprach, in der Herrschaft
folgen würden. Der Gedanke des einen Reiches und des einen Populus christianus,
das Ideal des Rex christianus, der Rang und die Würde des von ihm erneuerten
Kaisertums überlebten das 10. Jahrhundert, das finstere Säkulum, und haben
selbst das Mittelalter überdauert.
Kalckhoff übertreibt, wenn er von Karl sagt, er
habe den Grundstein für die mittelalterliche Kirche, das Papsttum und den
Katholizismus gelegt. Wenn er ihn als den ”Gründerhelden” des Mittelalters bezeichnet, kann
man ihm schlechterdings nicht widersprechen. Die klare Komposition, die
eingängige, weder in Fachjargon noch Platitüden abgleitende Sprache und die
überall spürbare Sach- und Quellenkenntnis geben dem Leser ein Gefühl der
Sicherheit und Solidität.
SUSANNE ELM
”Das historisch-politische
Buch” 3/ 1988:
Das Buch gehört zur populärwissenschaftlichen
Gattung; es wendet sich an ein breiteres Publikum. Doch ist es nicht ohne
Sachkenntnis geschrieben; sein Vf., freier Schriftsteller, verrät eine breite
Kenntnis auch von Spezialliteratur (die durch die beigefügte
”Auswahlbibliographie” keineswegs auch nur annähernd erfaßt wird) und
selbständige Quellenlektüre. Er zeichnet ein eigenwilliges Bild des ersten
fränkischen Kaisers. Nach Karls Tod herrschte Endzeitstimmung im Frankenreich,
obwohl nun erst ”die Zukunft des westlichen Europas” begann. Denn
Karl hat nicht nur ”die politische Landkarte mitgestaltet", sondern ”das
westliche Denken im Mittelalter vorbereitet". Er gab einer ”neuen
Wirklichkeit” (nur unzulänglich mit ”Karolingischer Renaissance” wiederzugeben)
Kontur; war der ”theios anér", der durch sein Vorbild die Unterworfenen erzog,
ihnen Ungewohntes zumutete, gleichwohl nach dem Muster des Gabentausches
handelte. Er war der heilige Herrscher, der zur christlichen Lebensführung anhielt,
der Hüter des Rechts, der nur Schutzherr sein wollte, zwar Dienst forderte,
aber keinen verknechtenden, sondern jenen, den das ”hohe Rittertum” im 12.
Jahrhundert verwirklichte. Karl also, ”wie er sich selbst verstand",
Prediger, Mahner, Beschützer der Armen, Vorbild. - Das Buch ist K. Bosl und A.
Nitschke gewidmet.
JOHANNES FRIED
"Neue Bücherei” 3/ 1989:
Im selben Jahr wie die Biographie von Herm
erschienen (vgl. DNB 1988/2/189), zeichnet sich das vorl. Werk durch seine
fundierte Darstellung von Gesellschaft, Kirche und Staat aus, vor deren
Hintergrund Karls Leben und Leistungen hervortreten. Der Verf. beschränkt sich
dabei sinnvollerweise auf die wesentlichen Ereignisse, Namen und Daten. Ihm
geht es mehr darum, die grundlegenden Unterschiede im Denken und Handeln der
Menschen jener Tage im Vergleich zu heute herauszuarbeiten. So entsteht
zugleich ein höchst lesenswertes Zeitgemälde. Zeittafel, Register und
Auswahlbibliographie erleichtern dem Leser die Orientierung. Schon ab mittleren Beständen anschaffenswert!
Hans-J. Schubert
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© Andreas Kalckhoff, Version März 2001